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Angedacht


Liebe Gemeinde,



„Was machst du denn da?„ Im anfahrenden Zug reißt Mahatma Gandhi das Fenster auf, zieht sich seine Sandale vom Fuß und schmeißt sie aus dem Fenster. „Ich habe im Gedränge beim Einsteigen meine Sandale verloren„, antwortet er. Wenn ich jetzt die andere aus dem Fenster zu der anderen schmeiße, kann der, der sie findet, wenigstens etwas damit anfangen!„

Dieser Blick auf andere ist etwas, das ich – in den letzten Jahren zunehmend – vermisse. Dabei gibt es leuchtende Beispiele: die Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Coventry, die Organspende der Angehörigen des israelischen Anschlagsopfers an zwei Palästinenser, die polnischen Priester, die sich beim Verlassen des befreiten KZs in Ausschwitz weigerten, ihre Aufseher anzuschwärzen. Mahatma Gandhis Blick auf andere ist also nur einer unter vielen.

Jesus fordert diesen Blick auch. Er sagt: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!„ (Lukas 6, 27-28, Monatsspruch für Januar) Sicher verlangt er damit mehr, als viele von uns leisten können; aber wenn wir uns in diese Richtung bewegen, können wir schon so manches verändern: wenn wir nicht unmenschlich irgendeine Zahl, sondern das Leid als Obergrenze für Flüchtlinge festlegen; wenn wir nicht ohne Rücksicht auf die nächste Generation Ressourcen verbrauchen und Klimaschutz als Nebensache sehen; wenn wir unser eigenes Wohl nicht gnadenlos über das anderer stellen.

Wo Gesellschaft lebensdienlich für uns selbst und alle anderen sein soll, braucht es diesen Blick, und zwar nicht nur für Christinnen und Christen, sondern für alle. Und wenn wir dafür auch auf die zweite Sandale verzichten, tut es niemandem weh, dient aber anderen.

Dass wir so miteinander umgehen und aufeinander zugehen können (vielleicht ja mit oder ohne Sandalen…), das wünsche ich mir und uns allen für das neue Jahr und noch lange darüber hinaus. Denn dann heißt es uns gegenüber vielleicht irgendwann: „Was machst denn du da?„ Und wir können antworten. „Ich lebe mein Christ-Sein und tue anderen Gutes, weil Jesus fordert, sogar unsere Feinde zu lieben!„

Ihr

Daniel Lischewski, Pfr.